

Samstagmorgen in Friedberg, ein garstiger Wind fegt durch die Gassen der Altstadt. Es ist kalt, der Himmel ist grau, gleich wird es regnen. Bei so einem Wetter jagt man keinen Hund vor die Tür. Benjamin Ster hat da keine Wahl. Er muss beschädigte Wahlplakate ausbessern und ersetzen. Das ist Wahlkampf für ganz Harte. (jw)
»Wie man sich da fühlt? Man wird wütend«, sagt Benjamin Ster. »Wir schlagen uns die Wochenenden um die Ohren und dann das!« Die Wahlplakate der Friedberger SPD hingen gerade mal ein paar Stunden, schon waren die ersten demoliert. Die Beine der Ständer wurden abgetreten, einige Plakate wurden durchlöchert, auf anderen hingen Aufkleber mit rechtsradikalem Inhalt. »An der Augustinerschule haben sie uns Bärtchen angemalt. Das waren Schüler, das lasse ich mir noch gefallen. Aber rechtsextreme Aufkleber und Zerstörungen?«
Zwei Helfer haben abgesagt, jetzt stehen Ster, Dominik Bantle und Manuel Baena Loth von den Jusos in einem Keller in der Großen Klostergasse und rühren Kleister an. »Die Mischung von Peter Rausch ist die beste«, verrät Ster. »Kleister mit Holzleim, das hält bombenfest.« Rausch kommt gerade dazu. Er hat seinen Elektroschrauber und den Landrat mitgebracht. »Nicht in echt, aber als Plakat«, sagt er. Ob der Bürgermeister, der ja immerhin Spitzenkandidat ist, auch Plakate aufhängt? »Der Bürgermeister?«, fragt Rausch und muss grinsen. »Was der hier unten schon Kleister angerührt hat!« »Der hat sich ums Programm gekümmert«, beschwichtigt Ster.
200 Plakate dürfen die Parteien in Friedberg aufhängen. Die SPD glaubte, sie käme mit 150 aus. »Nach der ersten Nacht mussten wir 50 nachdrucken«, erzählt Ster. Der studierte Geograf, der gerade auf sein Diplom wartet, ist zwar erst 31 Jahre alt, hat aber schon einige Wahlkämpfe mitgemacht. Dass er SPD-Vorsitzender ist, befreit ihn nicht von unangenehmer Arbeit. Im Gegenteil. »Egal ob im Vorstand oder als einfaches Mitglied, jeder hilft im Wahlkampf.« Was wohl heißen soll: Am Ende sind es doch wieder dieselben, die anpacken und Ärger mit ihren Frauen bekommen, weil sie schon wieder nicht zu Hause sind. »Ich bin Single«, sagt Ster. Deshalb ist er immer dabei.
Als Holzlatten, Schrauben, Kabelbinder und Plakate in den Autos verstaut sind, geht es los. Bantle und Baena Loth fahren zur Seewiese, Ster und Rausch zum Breitenfelderhaus auf der Kaiserstraße. Das Plakat mit den drei Kandidaten Franz Tahedl, Evelyn Weiß und Klaus Fischer lehnt völlig demoliert an einem Baum. An seiner Stelle werden die Spitzenkandidaten Michael Keller, Marion Götz und Ster selbst aufgestellt. »Von den anderen haben wir keine Plakate mehr.«
Rausch knüpft Kabelbinder an Kabelbinder und bindet sie um den Baumstamm. »Der Baum darf nicht beschädigt werden«, erklärt er. »Nägel sind verboten.« Verboten ist auch, Plakate außerhalb der Ortslage aufzuhängen. Aber liegt die Freseniusstraße zwischen Fauerbach und Industriegebiet Süd außerhalb? Das Ordnungsamt hat sich gemeldet, die SPD-Plakate dort müssten weg. »Für mich ist das eine Stadtstraße«, sagt Rausch. Aber gut, nachher fährt er dort vorbei.
Als Ster und Rausch am Goetheplatz den nächsten Plakatständer reparieren, kommt ein Wölfersheimer vorbei. »Ich bin 59 Jahre in der SPD. Früher gabs das nicht. Wer so was macht«, sagt er und deutet auf die Löcher im Plakat, »dem sollte man mal kräftig in den Hintern treten.« Weiter gehts in die Hanauer Straße. An der Ampel vor der OVAG-Hauptverwaltung haben heftige Böen zwei Plakate gelöst. Man könnte hier Windräder aufstellen, so zornig bläst es gerade durch die Häusergassen. Ster und Rausch frieren, die Finger werden langsam steif. Wahlkampf ist nichts für Weicheier.
Hausbesuche sind da wesentlich angenehmer. »Ich dachte, die Leute wären verschlossen, aber das Gegenteil ist der Fall«, erzählt Ster. Mit den Landtags- und Bundestagskandidaten Jochen Schmitt und Stefan Lux hat er zuletzt 2013 Klinken geputzt. »Man wird zum Kaffee eingeladen. Gerade ältere Menschen haben viel zu erzählen. Da ist es manchmal schwierig, wieder weg zu kommen, weil man ja noch mehr Leute besuchen will.« An den Info-Ständen sei es wieder anders. »Egal wie gut man vor Ort politische Arbeit leistet, die Leute kommen und wollen über Bundesthemen reden.« Aber ein paar lokale Themen gibt es dann doch. »Kaiserstraße, Elvis-Presley-Platz, Kaserne, das interessiert die Leute.« Landrat Arnold und der Landesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel haben sich für die Info-Stände angesagt. »Wir sorgen dafür, dass die Hauptamtlichen mehr an die frische Luft gehen«, grinst Rausch.
Interessiert sich überhaupt jemand für Wahlplakate? Bringen die was? »Es gab mal einen Feldversuch, bei dem einige Parteien gar keine Plakate aufgestellt haben«, weiß Ster. »Das hat sich im Wahlergebnis bemerkbar gemacht.« Als er mit Rausch am Burgfeld, dem vereinbarten Treffpunkt, ankommt, sind die beiden anderen der Wahlkampf-Reparatur-Tour schon dort. Ein Plakatständer ist zersplittert, Rausch und Bantle jagen eine Schraube nach der anderen in die Latten, die nun aussehen wie ein Flickenteppich. »Das hält«, meint Ster, und dann geht es auch schon weiter in die Usa-Gasse. Das nächste demolierteWahlplakat wartet bereits.