Lebhafter „Politischer Stammtisch“ in Dorheim zur Rücktrittsankündigung des hessischen Ministerpräsidenten Koch

Friedberg-Dorheim: Erneut trafen sich zahlreiche Diskussionswillige aus Dorheim, Friedberg und Umgebung zum „Politischen Stammtisch“ des SPD-Ortsbezirks in der Gaststätte „Thüringer Haus“. Vor allem die Rücktrittsankündigung Roland Kochs (CDU) war eine Steilvorlage zum angeregten Gespräch unter Leitung des örtlichen SPD-Vorsitzenden Dr. Klaus-Dieter Rack über Tatsachen und Hintergründe dieser überraschenden Entscheidung des hessischen Ministerpräsidenten.

„Warum gerade jetzt?“ wurde in der Runde gefragt, denn Koch hätte nach dem Verlust der absoluten Mehrheit bei der Landtagswahl 2008 und dem über 10-prozentigen Absturz der hessischen CDU mit mehr Berechtigung zurücktreten können, ja müssen.

Rücktrittsforderungen der hessischen SPD, der GRÜNEN und der Linken wurden von Koch und seiner CDU damals aber vehement zurückgewiesen. Und auch nach der Landtags-Neuwahl 2009 wurde Koch nur noch von der FDP und den selbst verschuldeten Fehlern der SPD gerettet – Kochs Ansehen und sein politischer Gestaltungswille waren längst dahin. Aber erneut: kein Rücktritt.

Der „Stammtisch“ war sich einig, dass Koch weder in Wiesbaden noch in Berlin perspektivisch eine Chance besaß, weiterhin Spitzenämter zu bekleiden, zumal seine politische Bilanz sehr bedenklich ist.

Er schürte immer wieder Stimmungen und Vorurteile, polarisierte die Menschen und fischte auch im Trüben (der Lüge überführt in der CDU-Parteispendenaffäre; Erfindung angeblicher „jüdischer Vermächtnisse“). Hessen ist zudem hoch verschuldet; Kochs Regierung hat über Jahre nicht verfassungsgemäße Haushalte verabschiedet. Hessen ist keineswegs zu einem Bildungsland Nummer eins geworden. Im Gegenteil: Koch wollte zuletzt gerade im Bereich Bildung und Kinderbetreuung einsparen – und stieß auf Widerspruch bei Kanzlerin Merkel und den zuständigen CDU-Ministerinnen. Hessen ist unter Kochs auch nicht zum Musterland für erneuerbare Energien geworden. Im Gegenteil: die Hessen-CDU setzt unverändert auf die risikoreiche Atomenergie und will die Laufzeiten der überalterten Biblis-Reaktoren verlängern.

Und der auserkorene Nachfolger, Innenminister Bouffier, ist z. Zt. stark angeschlagen wegen der von ihm verursachten Besetzungsaffäre um die Leitung in der hessischen Bereitschaftspolizei. Noch nie wurde nämlich gegen einen amtierenden Minister ein Untersuchungsausschuss wegen des Verdachts der Rechtsbeugung eingesetzt.

„Roland Koch flieht vor seiner Verantwortung angesichts der gewaltigen Finanzprobleme des Landes“ war das Fazit des „Stammtischs“. Der designierte Nachfolger Volker Bouffier sei bisher ein „treuer Vasall Kochs“ gewesen und werde lediglich dessen „Konkursverwalter“. Mit ihm wird es, so die Auffassung des „Stammtischs“, keinen Politikwechsel in der erzkonservativen hessischen CDU geben. Jedoch meinte man in der Runde auch, dass die sozialen Verwerfungen der rot-grünen Agenda-2010-Politik in weiten Teilen des Volkes immer noch als gravierender angesehen würden als jede Affäre einer CDU-FDP-Regierung. Hier müsse die SPD (z.B. bei der Rente mit 67) einen noch stärkeren Kurswechsel zu einem wieder glaubwürdigeren Eintreten für soziale Gerechtigkeit vollziehen.

Auch die Folgen der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wurden ausgiebig diskutiert. Ein vom Wahlvolk so massiv abgestrafter Jürgen Rüttgers (CDU) könnte nicht länger das Amt des Ministerpräsidenten beanspruchen, wurde gesagt. Auch wenn die Linke in NRW in der Tat noch nicht regierungs- und koalitionsfähig sei, gäbe es dennoch eine „linke“ Mehrheit im größten deutschen Bundesland. Folglich solle sich Hannelore Kraft zur Wahl als Ministerpräsidentin stellen. Wie ein Teilnehmer aus Assenheim veranschaulichte, bietet die NRW-Verfassung die Möglichkeit, sich in einem eventuell dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit ins Amt wählen zu lassen. Mit diesem Amtsbonus könnte dann mit mehr Autorität als zuvor eine Regierung unter SPD-Führung gebildet werden. Insofern werden die nächsten Wochen bis zu einer Regierungsbildung in NRW spannend bleiben.

Eingangs und abschließend wurden auch Dorheimer Themen behandelt – u.a. die Verzögerungen bei der Erneuerung der Bahnhaltestelle, die mehr als zwei Jahre nach Antragstellung noch immer nicht vollzogene Verlegung der Büros des Ortsvorstehers und des Ortsgerichtsvorstehers, auch der seit Jahren erlebte Aufschub bei Erschließung des Baugebiets „Nordost“ mit der Folge des Abzugs von Bauwilligen. In allen Fällen wurde Kritik an den jeweils Zuständigen in der Stadtverwaltung geübt, von denen man Dorheimer Interessen nicht angemessen gewahrt sieht. Auch die Verzögerungen beim Bau der Ortsumgehung und die massive Zunahme des Durchgangsverkehrs wurden diskutiert (in der jüngsten Sitzung des Ortsbeirats hatte die SPD einen dringlichen Antrag zu Gegenmaßnahmen und zur Entlastung der Anwohner gestellt).

„Stammtisch“ fand zeitlich vor dem Rücktritt des Bundespräsidenten Köhler statt. Aus redaktionellen Gründen konnte dieser Bericht erst einige Tage nach diesem zweiten markanten Rücktritt verfasst werden.