„Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe“

Dorheims SPD-Vorsitzender Dr. Klaus-Dieter Rack hatte unlängst Rolf Gnadl zum „Politischen Stammtisch“ ins „Thüringer Haus“ eingeladen. Gnadl referierte in seiner Eigenschaft als Mitglied des SPD-Landesvorstands Hessen vor zahlreich erschienenen Parteifreunden und Interessierten über die aktuelle politische Lage in Hessen und die sich daraus ergebenden Handlungs-Perspektiven.

Ex-Landrat Gnadl blickte in seinen Ausführungen auf einen erfolgreichen Wahlkampf zurück, der die SPD nach dem Wahldebakel von 2003 dank des Einsatzes der Parteimitglieder am 27. Januar 2008 wieder auf Augenhöhe mit der CDU brachte. In seiner knappen, systematischen Wahlanalyse hob Gnadl auch hervor, dass der Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti besonderer Dank gebührt. Sie steht der SPD Hessen seit 2003 vor und hat seither durch notwendige Fehleranalyse und in vielen offenen, kritischen Gesprächen mit Gewerkschaften, Sozialverbänden, etc. der Partei neue politische Perspektiven eröffnet. Dadurch blieb auch die LINKE in Hessen bei der Wahl 2008 deutlich schwächer als in anderen westdeutschen Ländern. Der enorme Stimmenverlust der Hessen-CDU (-12%) führt Gnadl u.a. nicht nur auf deren Versagen in der Schul- und Bildungspolitik, sondern auch auf den erneuten Versuch Kochs zurück, Wahlkampf durch Schüren von Ängsten und Vorurteilen zu Lasten ausländischer Mitbürger zu betreiben. Was 1999 noch Erfolg hatte, lehnten die Wähler nun 2008 massiv ab. Dennoch sieht die Hessen-CDU nach der jüngsten Wahlkatastrophe keinerlei Veranlassung, zu ihrem „Anführer“ Koch auf Distanz zu gehen.

Die strikte Festlegung der hessischen SPD vor der Wahl gegen eine Kooperation mit der LINKEn erwies sich nach dem 27.1. als Hindernis zur politischen Gestaltungsfähigkeit. Alle Landtags-Parteien aber hatten sich, so Gnadl, im Wahlkampf bestimmte Kooperationswege verbaut. Die CDU wollte mit aufheizenden Parolen „Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten stoppen“, die FDP verweigerte sich der SPD und die GRÜNEN wollten auf keinen Fall ins Boot mit der Koch-CDU. Somit saßen alle bisher im Landtag vertretenen Parteien in selbst gestellten Fallen.
Nur: die Wege aus den Sackgassen wurden in bisher ungeahnter, einseitig medial begleiteter Weise der SPD und Ypsilanti als „Wortbruch“, gar „Lüge“ angelastet, während das Nachwahl-Anbiedern von CDU und FDP gegenüber den GRÜNEN in den Medien beschönigend nur als „erstaunliche Kehrtwende“ (Frankfurter Neue Presse) bezeichnet wurde.

Gnadl verwies darauf, dass sich die Landtagsmehrheit gegen CDU und FDP seit dem 5. April auf einem konstruktiven Wege befindet, sachpolitische Schnittmengen zu suchen. Erste Erfolge der Parlaments-Zusammenarbeit sind festzustellen. So werden auf Initiativen von SPD, GRÜNEN und LINKEn bereits neue Wege in der Schulpolitik beschritten (u.a. Abschaffung der umstrittenen „Unterrichtsgarantie plus“, Entschlackung der Lehrpläne, Entschärfung des “Turbo-Abiturs G 8“), die Energiewende ist eingeleitet, die Rückkehr Hessens in die Länder-Tarifgemeinschaft ist beschlossen und nach vier Jahren zeigt sich Kochs Regierung endlich wieder geneigt, mit VERDI zu einem Tarifabschluss zu gelangen.

Mit der Abschaffung der Studiengebühren wird zudem ein erstes bedeutendes Wahlkampfziel der Parteien links von CDU und FDP verwirklicht. Die „Tricksereien“ Roland Kochs gegen dieses Gesetzesvorhaben verhindern es letztlich nicht, entlarven aber dessen Worte vom „fairen Helfer des Parlaments“ als unglaubwürdiges Gerede eines Machtpolitikers, der alle Gelegenheiten nutzt, um der jetzigen Landtags-Mehrheit Steine in den Weg zu legen. Auch Dagmar Metzger (SPD Darmstadt) zeigt sich empört über Kochs Verhalten, freut sich hingegen „über das Erlebnis, im Parlament gestalten zu können. Die Abschaffung der Studiengebühren ist ein großer Erfolg“(FAZ-Online) – ein Erfolg indes, der nur mit den Stimmen der sechs Abgeordneten der Partei Die LINKE möglich wird.

Lebhaft wurde schließlich mit Gnadl diskutiert, ob und wann im Landtag ein „Zweiter Versuch“ zur Bildung einer SPD-GRÜNEN-Minderheitsregierung gewagt werden soll.
Befürworter meinten, dass dies ohne Eile und mit Sorgfalt innerparteilich und in der Öffentlichkeit vorbereitet werden muss. Aber der jetzige Zustand bleibt unbefriedigend, denn nur von der Regierungsbank sei im Endeffekt der Politikwechsel zu vollziehen und wirkungsvoll Politik in Hessen zu gestalten.
Skepsis kam andererseits auf, ob das Risiko auf absehbare Zeit nicht zu hoch sei, die nötige Landtagsmehrheit zu finden, wobei der kritische Blick der Diskutanten weniger auf der zuletzt eher kooperationswilligen Dagmar Metzger lag, sondern auf möglichen anderen Abtrünnigen. Auch sei eine engere Kooperation mit der LINKEn im Lande weiterhin nur mit Schwierigkeiten vermittelbar.

Einig war man sich aber in der Ablehnung einer Großen Koalition mit der national-konservativen CDU Hessens. Hierzu liegt auch eine klare Beschlusslage des letzten SPD-Landesparteitags vor. Das jüngste Eintreten Jürgen Walters (SPD) für eine Große Koalition in Hessen wurde als nicht nachvollziehbare Einzelmeinung bezeichnet.
Für eine Zusammenarbeit mit R. Koch als CDU-Frontmann und Regierungschef habe man keinen Wahlkampf bestritten, hieß es am Ende des erneut sehr angeregten „Stammtischs“.

Dieser Text wurde am 18.6.2008 in der Wetterauer Zeitung stark gekürzt abgedruckt (Titel: „Gnadl lobt Ypsilanti“); insbesondere fielen alle Koch-kritischen Passagen dem redaktionellen Rotstift zum Opfer.